Dienstreise Arbeitszeit: Ist die Fahrtzeit Arbeitszeit? Viele Fach- und Führungskräfte sind in ihrem Job auf Dienstreisen für den Arbeitgeber unterwegs. Sei es, um Kunden zu besuchen oder, um in auswärtigen Betrieben Arbeiten zu erledigen. Immer wieder werde ich gefragt, ob bei einer Dienstreise die Fahrtzeit Arbeitszeit ist und die Stunden dementsprechend vergütet werden.
Wann liegt eine Dienstreise vor?
Eine Dienstreise liegt vor, wenn der Arbeitnehmer zu einem Ort außerhalb seines regulären Arbeitsortes fahren muss, um dort für den Arbeitgeber ein Dienstgeschäft zu erledigen. Hierbei ist es unerheblich, ob er die Dienstreise von seiner Wohnung aus oder vom Sitz oder Büro des Arbeitgebers aus antritt (BAG, Urteil v. 11.07.2006, 9 AZR 519/05).
Eine Dienstreise enthält typischerweise drei Phasen:
- 1. Die Hin- und Rückreise (Fahrtzeit)
- 2. Die Zeiten der Wahrnehmung des Dienstgeschäfts und
- 3. der Aufenthalt am Ort und nach Erledigung des Dienstgeschäfts (Wartezeiten)
In vielen Unternehmen werden nur die Zeiten der Wahrnehmung des Dienstgeschäfts als Arbeitszeit vergütet. In einigen Tarifverträgen (z.B. in § 44 TVÖD BT-V) ist ausdrücklich geregelt, dass bei Dienstreisen nur die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am aus- wärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit gilt.
Wegezeit ist keine Arbeitszeit
Wegezeiten von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück sind keine Arbeitszeit und damit nicht zu vergüten (BAG, Urteil v.21.12.2006, 6 AZR 341/06). Sie haben es selbst in der Hand, Ihren Wohnort zu bestimmen und welche Fahrtzeit Sie bis zur Arbeit unvergütet in Kauf nehmen.Das gleiche gilt für die Fahrtzeit (Dauer der Hin- und Rückfahrt) einer Dienstreise. Auch wenn Ihnen durch längere Hin- und Rückreisen mit der Bahn oder dem Flugzeug ein größeres Freizeitopfer abverlangt wird, handelt es sich um keine Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG oder Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG vom 4.11.20003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeit-Richtlinie). Diese Frage ist europarechtlich geklärt (BAG, Urteil v. 11.07.2006, 9 AZR 519/05).
Der Arbeitgeber ordnet die Dienstreise zwar an, und damit zugleich auch die zeitliche Bestimmung der Fahrtzeit. Insoweit besteht zwar ein Bezug zur Arbeitsleistung. Gleichwohl handelt es sich bei diesen Wegezeiten nicht um Arbeitszeit, sondern um Ruhezeiten, wenn der Arbeitgeber lediglich die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln vorgibt. Denn es bleibt Ihnen überlassen, wie Sie die Fahrtzeit nutzen. Sie können sich ausruhen, lesen, essen und trinken oder andere private Dinge erledigen.
Ausnahme: Anderes gilt, wenn Ihnen Ihr Arbeitgeber Ihnen vorgibt, dass Sie die Fahrtzeit nutzen müssen, um Arbeitsaufgaben zu erledigen, etwa um Akten oder E-Mails zu bearbeiten oder den Termin vor- und nach zu bereiten. Dann ist dies Arbeitszeit. Es macht keinen Unterschied, ob Sie solche Aufgaben am Schreibtisch im Büro oder in der Bahn oder im Flugzeug erledigen.Der Arbeitgeber muss allerdings eine entsprechende Anordnung getroffen haben. Wenn Sie die Zeit freiwillig nutzen, um den Termin vorzubereiten, ist es Ihre Entscheidung.
Wegezeiten eines Außendienstmitarbeiters und Kraftfahrers
Die Reisezeit eines Außendienstmitarbeiters oder eines Kraftfahrers gehört dagegen zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten. Außendienstmitarbeiter und Kraftfahrer haben meist keinen festen Arbeitsort oder Arbeitsplatz im Büro. Ihr wirtschaftliches Ziel ihrer Tätigkeit ist darauf gerichtet, verschiedene Kunden zu besuchen, wozu die jeweilige Anreise zwingend gehört. Das gilt nicht nur für Fahrten zwischen den Kunden. Die Fahrten zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der üblichen Tätigkeit eine Einheit und stellen nach der Verkehrsanschauung jedenfalls bei Außendienstmitarbeitern, Vertretern u.a. insgesamt die Dienstleistung dar.
Da gilt unabhängig davon, ob der Fahrantritt ab der Betriebsstätte des Arbeitgebers oder ab der Wohnung des Arbeitnehmers erfolgt (BAG, Urteil 22.04.2009, 5 AZR 292/08). Außendienstmitarbeiter erbringen damit eine Arbeitsleistung, die zu vergüten ist. Das gilt erst recht, wenn der Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts die Fahrt mit dem Dienstwagen anordnet und der Außendienstmitarbeiter den Dienstwagen selbst fährt.
Pauschale Abgeltung von Reisezeiten ist unwirksam
Eine Klausel im Arbeitsvertrag, „Reisezeiten, die außerhalb der normalen Arbeitszeit anfallen, sind mit nach § x zu zahlenden Vergütung abgegolten“ ist unwirksam (BAG, Urteil v. 20.04.2011, 5 AZR 200/10).
Die Klausel ist nicht klar und verständlich, weil schon nicht klar ist, was mit „normaler Arbeitszeit“ gemeint ist. Auch der Begriff Reisezeit wird nicht hinreichend in der Klausel definiert. So fehlt es an einer Abgrenzung zwischen Reisezeit ohne und mit Arbeit. Zudem ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag nicht, welchen Umfang die ohne zusätzliche Vergütung zu leistenden Reisezeiten haben sollen.
Beifahrer erbringen Arbeitsleistung
Arbeit ist nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit kann Arbeit sein. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er als weder eine Pause noch Freizeit hat (BAG, Urteil v. 20.04.2011, 5 AZR 200/10).Kraftfahrer, die als Beifahrer mitfahren, damit sich die Fahrer abwechseln können, erbringen während ihrer Anwesenheit im Lkw eine Arbeitsleistung, die zu vergüten ist (BAG, Urteil v. 20.04.2011, 5 AZR 200/10).
§ 21a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ArbZG regelt zwar für Arbeitnehmer, die sich beim Fahren abwechseln, dass die während der Fahrt neben dem Fahrer oder in der Schlafkabine verbrachte Zeit abweichend von § 2 Abs. 1 ArbZG keine Arbeitszeit. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts schließt dies jedoch die Vergütungspflicht nicht aus (BAG, Urteil v. 20.04.2011, 5 AZR 200/10).
Überschreiten / Unterschreiten der üblichen Arbeitszeit
Was ist, wenn die durch die Dienstreise die im Arbeitsvertrag vereinbarte tägliche oder gar wöchentliche Arbeitszeit überschritten wird?
Da die reine Hin- und Rückreisezeit keine Arbeitszeit darstellt, ist diese nicht vergütungspflichtig. Es gibt auch keinen allgemeinen Rechtssatz, dass Reisezeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit vergütungspflichtig sind (BAG, Urteil 03.09.1997, 5 AZR 428/96).
Es kommt daher darauf an, ob Sie während der Dienstreise (während der Fahrt, beim Kunden oder zur Fahrt zum nächsten Kunden) eine Arbeitsleistung erbringen. Wenn die Fahrt für Sie aufgrund der Anordnung, den Dienstwagen zu benutzen, eine Arbeitsleistung darstellt oder die Zeit beim Kunden schon ihre tägliche Arbeitszeit überschreitet, sind dies Überstunden, die in der Regel vom Arbeitgeber zu vergüten sind. Allerdings kommt es dabei auf die objektive Vergütungserwartung an. So besteht bei Fach- und Führungskräften, die eine deutlich herausgehobene, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitende Vergütung erhalten, oder bei Arbeitnehmern, die in erheblichen Maße Provisionen erhalten und ihre Arbeit frei einteilen können, keine Erwartung, dass Überstunden bezahlt werden (BAG, Urteil v. 27.06.2012, 5 AZR 530/11).
Was ist, wenn durch lange Rückreisezeiten die vereinbarte tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit unterschritten wird?
Wenn Sie lange Reisezeiten haben, die nicht als Arbeitszeit gelten, kann es passieren, dass Sie dadurch die vertraglich vereinbarte tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit nicht einmal erreichen, obwohl Sie für den Arbeitgeber unterwegs sind. Ihr Arbeitgeber muss Ihnen gleichwohl die vertraglich vereinbarte Vergütung in volle Höhe zahlen. Ihr Arbeitgeber gerät dann nämlich in Annahmeverzug nach § 615 BGB. Er schuldet die vereinbarte Vergütung auch für Zeiten der Nichtbeschäftigung, wenn er Ihnen keinen ordnungsgemäßen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt. Er hat es schließlich in der Hand, welche Arbeit er Ihnen an welchem Ort zuweist. Wenn er eine Dienstreise zu einem weit entfernten Kunden mit einer langen Anreisezeit anordnet, kann dies nicht zu Verdiensteinbußen führen. Einige Tarifverträge (z.B. § 44 Abs. 2 Satz 2 TVöD BT-V) sehen bei Unterschreiten der Arbeitszeit durch Dienstreisen ausdrücklich vor, dass mindestens die Vergütung für die regelmäßige Arbeitszeit zu zahlen ist. Das BAG hat in seiner Entscheidung (BAG, Urteil v. 11.07.2006, 9 AZR 519/05) darauf hingewiesen, dass eine solche Regelung u.a. den Vorschriften über den Annahmeverzug Rechnung trägt.