Der Fremdgeschäftsführer kann Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG sein. Lange Zeit war unklar, ob und wieviel Urlaub einem Geschäftsführer einer GmbH zusteht und, ob dieser bei Beendigung des Anstellungsvertrages abzugelten ist, wenn hierzu im Geschäftsführervertrag keine Regelungen getroffen wurden. Für Klarheit sorgt nun eine Entscheidung des Bundesarbeitsgericht von Juli 2023 für Fremdgeschäftsführer.
Bisher: Urlaubsanspruch aus der Treupflicht der GmbH
Bisher wurde von der Rechtsprechung das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) auf Geschäftsführer nicht angewandt, weil der Geschäftsführer kein Arbeitnehmer ist. Gleichwohl war anerkannt, dass sich aus der Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber dem Geschäftsführer ein Anspruch auf Gewährung eines angemessenen Urlaubs ergibt. Unklar war allerdings, was als „angemessen“ gilt und welche Regelungen gelten.
Urlaubsanspruch nach EU-Recht
Aus dem EU-Recht ergibt sich ein Urlaubsanspruch für Arbeitnehmer von mindestens 4 Wochen (20 Arbeittage). Maßgeblich ist die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung.
Nach Art 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen erhält. Nach Absatz 2 darf der bezahlte Mindesturlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.
Der EuGH hat wiederholt festgestellt, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie weit auszulegen ist (EuGH, Urteil v. 03.05.2012, C-33//10). Der Begriff „Arbeitnehmer“ ist unionsrechtlich weit auszulegen. Als Arbeitnehmer ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt. Das wesentliche Merkmal besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, Urteil v. 03.05.2012, C-33//10). Der EuGH hatte bereits im Zusammenhang mit der Abberufung einer schwangeren Geschäftsführerin klar gestellt, dass auch das Organ einer Kapitalgesellschaft die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts besitzt. Dies gilt unabhängig davon, ob nach dem Recht des Mitgliedsstaats eine engerer Arbeitnehmerbegriff besteht (EuGH, 11.11.2010, C232/09 – Danosa).
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergibt sich der Anspruch auf Urlaub des Fremdgeschäftsführers einer GmbH unmittelbar aus dem Bundesurlaubsgesetz, und zwar unabhängig davon, ob der Geschäftsführer nach nationalem Recht als Arbeitnehmer anzusehen ist. Das Bundesurlaubsgesetz ist mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konform auszulegen.
Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz
Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Nach § 2 BUrlG unterliegen dem Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten zudem arbeitnehmerähnliche Personen.
Bundesurlaubsgesetz ist nach EU-Recht auszulegen
Durch das Bundesurlaubsgesetz werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt. Die nationalen Gerichte sind gehalten, innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs in § 2 BUrlG bedeutet dies, dass die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Grundsätze zum Arbeitnehmerbegriff (vgl. EuGH 17. März 2021 – C-585/19 – [Academia de Studii Economice din Bucureşti] Rn. 58 f.) heranzuziehen sind. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist maßgeblich, wenn – wie vorliegend mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – eine unionsrechtliche Regelung angewandt und in nationales Recht richtlinienkonform umgesetzt oder ausgelegt werden muss. Er beeinflusst nationales Recht dort, wo unionsrechtliche Vorgaben für die Regelungsmaterie existieren (BAG 8. Februar 2022 – 9 AZB 40/21 – Rn. 20; 27. April 2021 – 2 AZR 540/20 – Rn. 23).
Fremdgeschäftsführer ist Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts
Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH ist als Arbeitnehmer iSd. Unionsrechts zu qualifizieren. Der Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der Richtlinie 2003/88/EG ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Als „Arbeitnehmer“ ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH 26. März 2015 – C-316/13 – [Fenoll] Rn. 27 mwN). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts ist, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers bei der Ausübung seiner Aufgaben geringer ist als der eines Arbeitnehmers im Sinne der üblichen Definition des deutschen Rechts (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47). Die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts hängt von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden kann (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47; BAG 17. Januar 2017 – 9 AZR 76/16 – Rn. 24, BAGE 158, 6). In die Gesamtwürdigung der Umstände ist einzubeziehen, in welchem Umfang der geschäftsführende Gesellschafter über seine Anteile an der Willensbildung der Gesellschaft wahrnimmt (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 40).
Urlaubsabgeltung im bestehenden Geschäftsführerdienstverhältnis
Sollten Sie Ihren Urlaub aus betrieblichen Gründen im laufenden Kalenderjahr nicht nehmen können, wandelt sich Ihr Urlaubsansanspruch automatisch ohne weiteres Zutun der Parteien in ein Abgeltungsanspruch um. Dies stellte der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung v. 26.10.2006 (Az.: I B 28/06) heraus. Auch das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs des Geschäftsführers in Betracht kommt, wenn der Umfang der geleisteten Arbeit und die Verantwortung für das Unternehmen die Gewährung von Freizeit im Urlaubsjahr ausgeschlossen haben (OLG Düsseldorf, Urteil v. 23.12.1999, 6 U 11/99).
Allerdings dürfte die bisherige Rechtsprechung gegen die EU-Richtlinie verstoßen, wonach eine Abgeltung des (Mindest-)Urlaubsanspruchs nur bei Beendigung des Dienstverhältnisses möglich ist.
Urlaubsabgeltung wegen Beendigung des Geschäftsführervertrages
Der EuGH hat wiederholt entschieden, dass sich der bezahlte Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch umwandelt, wenn dieser wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden konnte (zuletzt Urteil v. 12.06.2014, C-118/13). Dadurch soll verhindert werden, dass dem Arbeitnehmer wegen der Unmöglichkeit jeder Genuss des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird, so die EU-Richter.
Die Entscheidungen des EuGH betrafen zwar nur Fälle, in denen der Arbeitnehmer aufgrund langanhaltender Krankheit den Urlaub nicht nehmen konnte. Gleiches muss aber m.E. auch dann gelten, wenn der Urlaub aus betrieblichen Gründen bis zum Ende des Dienstverhältnisses nicht genommen werden konnte.
Von der Rechtsprechung wurde bisher ebenfalls die Auffassung vertreten, dass auch ohne ausdrückliche Regelung im Geschäftsführervertrag der Urlaubsanspruch abzugelten ist, wenn die Gewährung von Freizeit wegen Beendigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags nicht mehr möglich ist oder der Umfang der geleisteten Arbeit und die Verantwortung für das Unternehmen die Gewährung von Freizeit im Urlaubsjahr ausgeschlossen haben (BGH, Urteil v. 03.12.1992, BGH LM Nr. 5 zu § 35 GmbHG; OLG Düsseldorf, Urteil v. 23.12.1999, 6 U 11/99).
Treffen Sie klare Regelungen zum Urlaubsanspruch Geschäftsführer
Um Streitigkeiten um Grund und Höhe des Urlaubsanspruchs als Geschäftsführer zu vermeiden, sollten Sie im Geschäftsführervertrag klare Regelungen zum Urlaubsanspruch und zur Abgeltung treffen.
Ebenso sollten Sie im Geschäftsführervertrag regeln, wer Sie im Urlaub vertritt. Eine solche Regelung ist für Sie von besonderem Interesse, weil nach überwiegender Ansicht der Geschäftsführer ohne die Klärung einer geeigneten Urlaubsvertretung nicht in den Urlaub fahren darf.
Beschäftigt Ihre GmbH mehrere Geschäftsführer sollte geregelt werden, dass sich die Mitgeschäftsführer bei der Urlaubsplanung abzustimmen und während des Urlaubs gegenseitig zu vetreten haben.