Als Arbeitgeber sind Sie verpflichtet, eine umfassende Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, um den Schutz von Schwangeren und stillenden Müttern sicherzustellen. Doch was bedeutet das genau und wie lässt sich dies im Arbeitsalltag umsetzen? In diesem Beitrag erhalten Arbeitgeber einen praxisnahen Einblick in die Anforderungen und Schritte zur rechtskonformen Gefährdungsbeurteilung im Mutterschutz.
Grundlagen der Gefährdungsbeurteilung im Mutterschutz
Als Arbeitgeber sind Sie verpflichtet, einen sicheren Arbeitsplatz für schwangere und stillende Mitarbeiterinnen zu schaffen. Nach dem Mutterschutzgesetz ist eine zweistufige Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, um Risiken frühzeitig zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zum Schutz von Schwangeren und stillenden Müttern zu treffen (§ 10 MuSchG). Dabei geht es nicht nur um physische Gefährdungen, sondern auch psychische Belastungen, die eine Schwangerschaft oder Stillzeit beeinflussen könnten.
Die zwei Phasen der Gefährdungsbeurteilung im Mutterschutz
Die Gefährdungsbeurteilung im Mutterschutz erfolgt in zwei Phasen:
Phase 1: Die allgemeine Gefährdungsbeurteilung:
Die allgemeine Gefährdungsbeurteilung ist generell verpflichtend, auch wenn derzeit keine Frauen in einem bestimmten Bereich beschäftigt sind (§ 5 ArbSchG). Ziel ist es, potentielle Risiken des Arbeitsplatzes zu erfassen und zu bewerten, um im Bedarfsfall schnell reagieren zu können.
Phase 2: Konkrete Gefährdungsbeurteilung bei Schwangerschaft:
Sobald eine Mitarbeiterin ihre Schwangerschaft oder Stillzeit mitteilt, sind Sie verpflichtet, eine konkrete Gefährdungsbeurteilung vornehmen. Hierbei geht es um eine genaue Analyse der Arbeitsbedingungen für die betroffene Mitarbeiterin und die Festlegung geeigneter Schutzmaßnahmen. In manchen Fällen kann dies bis zu einem Beschäftigungsverbot führen.
Schritt-für-Schritt-Anleitung zur praktischen Umsetzung der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung:
Die allgemeine Gefährdungsbeurteilung ist ein zentraler Bestandteil des präventiven Arbeitsschutzes und umfasst vier Schritte.
Schritt 1: Risikoanalyse
Arbeitgeber sind verpflichtet, für jeden Arbeitsplatz generell die möglichen Gefährdungen zu ermitteln und zu bewerten, denen eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind ausgesetzt ist oder sein kann.
Die generelle Beurteilung der Arbeitsbedingungen muss grundsätzlich auch dann erfolgen, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Prüfung keine weiblichen Beschäftigten hat oder auf dem konkreten Arbeitsplatz keine Frau beschäftigt. Dieses Vorgehen ist zum einen aus Gründen des Diskriminierungsschutzes erforderlich, weil Arbeitsplätze geschlechtsneutral zu vergeben sind und deshalb jeder Arbeitsplatz auch für eine Frau in Betracht kommt. Zudem ist die frühzeitige Beurteilung der Arbeitsbedingungen Grundvoraussetzung dafür, dass der Arbeitgeber im Vorfeld einer möglichen Schwangerschaftsmeldung die Belegschaft über mutterschutzbezogene Gefährdungen informieren kann (siehe unten). Sie trägt auch dem mutterschutzrechtlichen Präventionsgedanken Rechnung. Denn dann kennen Frauen die Risiken, auch wenn sie ihre Schwangerschaft noch nicht gemeldet haben oder selbst noch gar keine Kenntnis von der Schwangerschaft haben.
Bei der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung ist abzuschätzen, inwieweit Dazu chemische, biologische und physikalische Risiken sowie belastende Arbeitsbedingungen die Sicherheit und Gesundheit von schwangeren und stillenden Frauen sowie des Kindes gefährden können.
Ziel ist es, zum einen die unverantwortbaren Gefährdungen zu ermitteln, die zu einem Beschäftigungsverbot (13 MuSchG) führen können und zum anderen die leichteren Gefährdungen, die möglichst zu vermeiden sind (§ 9 MuSchG).
Praxis-Tipp: Die Durchführung der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung kann an zuverlässige und fachkundige Personen (Fachkräfte für Arbeitsschutz, Werksarzt) übertragen werden und muss nach dem Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und der Hygiene sowie den sonstigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen. Bestehen Zweifel, ob der konkrete Arbeitsplatz und die konkreten Arbeitsbedingungen zu einer Gefährdung der schwangeren oder stillenden Frau bzw. ihres Kindes führen können, kann die Aufsichtsbehörde auf Antrag (des Arbeitgeber oder auch der betreffenden Mitarbeiterin) eine Feststellung treffen.
Schritt 2: Ermittlung geeigneter Schutzmaßnahmen
Nach der Risikoanalyse bestimmen Sie, ob und welche Schutzmaßnahmen notwendig sind:
• Keine Schutzmaßnahmen
• Anpassung der Arbeitsbedingungen
• Beschäftigungsverbot im Extremfall
Schritt 3: Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung
Halten Sie die Ergebnisse Ihrer allgemeinen Gefährdungsbeurteilung und die daraus abgeleiteten Schutzmaßnahmen schriftlich fest. Diese Dokumentation ist nicht nur eine gesetzliche Pflicht, sondern kann Ihnen auch im Falle von rechtlichen Überprüfungen als Nachweis dienen. Aus Ihren Unterlagen muss sich ergeben:
- das Ergebnis der generellen Gefährdungsbeurteilung und
- der Bedarf an Schutzmaßnahmen.
- Sofern die allgemeine Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass die Tätigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz (z.B. Büroarbeitsplatz) keine besonderen mutterschutzbezogenen Gefährdungen aufweist, ist keine ausführliche Dokumentation erforderlich. Es reicht, einen entsprechend kurzen Vermerk in die Unterlagen zu nehmen.
- Soweit die Prüfung ergibt, dass eine Gefährdung für eine schwangere oder stillende Frau unverantwortbar ist und nicht durch Schutzmaßnahmen ausgeschlossen werden kann, genügt für die Dokumentation die Begründung des insoweit bestehenden Bedarfs an Schutzmaßnahmen.
- Liegen mutterschutzbezogene Gefährdungen vor, die keine unverantwortbaren Gefährdungen darstellen, sind auch diese zu dokumentieren, da auch hinnehmbare Gefährdungen möglichst zu vermeiden sind (Grundsatz der Risikominimierung).
Schritt 4: Information aller Beschäftigten und des Betriebsrats
Arbeitgeber sind verpflichtet, alle Mitarbeiter, einschließlich der männlichen Beschäftigten, über das Ergebnis der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung und über die Schutzmaßnahmen zu informieren (§ 14 Abs. 2 MuSchG). Die männlichen Beschäftigten sind zu informieren, damit sichergestellt wird, dass z.B. auch männliche Vorgesetzte wissen, welche Vorschriften sie bei einer schwangeren oder stillenden Mitarbeiterin beachten müssen. Im Rahmen der Unterrichtung über die generelle Beurteilung der Arbeitsbedingungen kann es auch erforderlich sein, dass Sie als Arbeitgeber Einsicht in die Unterlagen zur Gefährdungsbeurteilung gewähren müssen.
Zusätzlich ist der Betriebsrat im Rahmen des Mitbestimmungsrechts umfassend zu unterrichten (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG).
Die konkrete Gefährdungsbeurteilung bei Schwangerschaft oder Stillzeit
Arbeitgeber sind nun verpflichtet, die Feststellungen aus der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung zu überprüfen und müssen die erforderlichen Schutzmaßnahmen festlegen. Sofern keine allgemeine Gefährdungsbeurteilung vorliegt, ist diese spätestens zu diesem Zeitpunkt durchzuführen.
Sobald eine Mitarbeiterin ihre Schwangerschaft oder Stillzeit mitteilt, muss der Arbeitgeber umgehend eine spezifische Gefährdungsbeurteilung durchführen und erforderliche Schutzmaßnahmen festlegen (§ 10 Abs. 2 MuSchG).
Die Mitarbeiterin darf ab sofort nur noch solche Tätigkeiten ausüben, für die eine konkrete Beurteilung der Arbeitsbedingungen vorgenommen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen wurden (§ 10 Abs. 3 MuSchG).
Praxistipp: Ohne konkrete Gefährdungsbeurteilung keine Beschäftigung. Es handelt sich um ein gesetzliches Beschäftigungsverbot. Dabei ist die Beschäftigung nicht dauerhaft verboten, sondern nur unterbrochen. Sobald die Maßnahmen eingeleitet sind, ist die Unterbrechung aufzuheben. Die Unterbrechung bezieht sich aber nur auf die Tätigkeiten, für die der Arbeitgeber noch keine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen oder keine Schutzmaßnahmen getroffen hat. Die Weiterbeschäftigung mit anderen Tätigkeiten, für die nach Beurteilung der Arbeitsbedingungen keine Schutzmaßnahmen zu treffen sind, ist zulässig. Auch hier gilt die Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 13 MuSchG (siehe unten). Während der Unterbrechung ist das Arbeitsentgelt weiter zu zahlen.
In vier praktischen Schritten zur konkreten Gefährdungsbeurteilung
Schritt 1: Rangfolge der Schutzmaßnahmen prüfen
Falls die konkrete Gefährdungsbeurteilung unverantwortbare Risiken aufdeckt, sind Schutzmaßnahmen in folgender Reihenfolge zu ergreifen (§ 13 MuSchG):
1. Umgestaltung der Arbeitsbedingungen:
Zunächst hat der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen für die schwangere oder stillende Mitarbeiterin durch Schutzmaßnahmen umzugestalten. Dazu soll der Arbeitgeber alle erforderlichen Gesundheitsmaßnahmen treffen, wobei nicht nur die körperliche, sondern auch psychische Gesundheit zu schützen ist.
Grundsatz der Weiterbeschäftigung:
Grundsätzlich soll der Arbeitgeber alle Maßnahmen ergreifen, um der Mitarbeiterin während ihrer Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit die Fortführung ihrer Tätigkeit zu ermöglichen.
2. Arbeitsplatzwechsel:
Sind durch eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen die unverantwortbaren Gefährdungen nicht auszuschließen und wegen des nachweislich unverhältnismäßigen Aufwands nicht zumutbar, ist ein Arbeitsplatzwechsel vorzunehmen.
In Betracht kommt jeder andere Arbeitsplatz, auch in anderen Betriebsteilen oder Arbeitsstätten, der vergleichbar und zumutbar ist. Der andere Arbeitsplatz muss nicht zwingend frei sein. Auch ein vorübergehender Tausch mit einer oder einem anderen Mitarbeiter ist ein mögliches Instrument des Arbeitsplatzwechsels, zumal es sich um einen zeitlich begrenzten Zeitraum handelt.
Bei der Zuweisung einer Ersatztätigkeit hat der Arbeitgeber nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 315 BGB). Das heißt, als Arbeitgeber müssen Sie eine umfassende Interessenabwägung vornehmen. Die vertragliche Treuepflicht der Mitarbeiterin gebietet es, daran mitzuwirken, die finanziell nicht unerheblichen Folgen eines Beschäftigungsverbotes für den Arbeitgeber möglichst gering zu halten. Ihre Mitarbeiterin muss deshalb für die absehbare Zeit bis zum Beginn der 6wöchigen Mutterschutzfrist unter Umständen auch solche – mutterschutzrechtlich erlaubten und zumutbaren – Tätigkeiten ausüben, zu denen sie im Wege des Direktionsrechts nicht angewiesen werden könnte.
Andererseits muss die angebotene Ersatztätigkeit auf den besonderen Zustand der Schwangeren und deren berechtigte persönliche Belange Rücksicht nehmen (BAG, Urteil v. 22.04.1998, 5 AZR 478/97). Ein Arbeitsplatzwechsel kann deshalb auch unzumutbar sein, weil damit eine Änderung der Arbeitszeit verbunden ist, die mit den privaten Verpflichtungen der Mitarbeiterin, wie etwa der Betreuung weiterer Kinder oder anderer Angehöriger, nicht in Einklang zu bringen ist (BAG, Urteil v. 14.04.1972, 3 AZR 395/71). Ferner muss die Ersatztätigkeit in ihrer sozialen Wertigkeit vergleichbar und sie darf nicht maßregelnd oder kränkend sein.
Hinweis: Änderungen wie eine Versetzung oder Anpassung der Arbeitsbedingungen erfordern in der Regel die Zustimmung des Betriebsrats, insbesondere bei längerfristigen Maßnahmen (§ 99 Abs. 1 BetrVG).
3. Beschäftigungsverbot:
Kann eine sichere Beschäftigung weder durch eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen noch durch einen Arbeitsplatzwechsel nicht gewährleistet werden, muss letztlich ein betriebliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden.
Das Beschäftigungsverbot darf nur in dem Umfang erfolgen, in dem es zum Ausschluss der unverantwortbaren Gefährdung der schwangeren oder stillenden Mitarbeiterin oder ihres (ungeborenen) Kindes erforderlich ist. Für den übrigen Teil der Arbeit sind die Schutzmaßnahmen nach Maßgabe der Nummern 1 und 2 zu ergreifen. Anteile der Arbeit, die wegen mangelnder Gefährdung keiner Schutzmaßnahmen bedürfen, können weiterhin von der Mitarbeiterin ausgeführt werden.
Schritt 2: Gesprächsangebot an die betroffene Mitarbeiterin
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein Gesprächsangebot zu unterbreiten, um individuelle Anpassungen der Arbeitsbedingungen mit der Mitarbeiterin abzustimmen (§ 10 Abs. 2 Satz 2 MuSchG).
Schritt 3: Dokumentation
Die konkrete Gefährdungsbeurteilung und die Festlegung der erforderlichen Schutzmaßnahmen sowie das Ergebnis ihrer Überprüfung auf ihre Wirksamkeit (§ 9 Abs. 1 Satz MuSchG) hat der Arbeitgeber zu dokumentieren (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 MuSchG).
Ferner ist das Angebot eines Gesprächs mit der Mitarbeiterin über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen oder der Zeitpunkt eines solchen Gesprächs zu dokumentieren.
Schritt 4: Umfassende Information der Mitarbeiterin
Schließlich muss der Arbeitgeber die schwangere oder stillende Mitarbeiterin unaufgefordert und in angemessener Weise über die Ergebnisse der konkretisierten Gefährdungsbeurteilung sowie über die für sie festgelegten und getroffenen Schutzmaßnahmen informieren.
Es genügt nicht, eine Kopie der Beurteilung zu übermitteln. Die schwangere oder stillende Mitarbeiterin muss in die Lage versetzt werden, das Erfasste zu verstehen. Zur Unterrichtung gehört daher auch eine Erläuterung, da teilweise medizinisches oder arbeitswissenschaftliches Vokabular verwendet wird. Die Unterrichtung kann es auch erforderlich machen, der betroffenen Mitarbeiterin Einsicht in die Unterlagen zur Gefährdungsbeurteilung zu gewähren. Zudem muss die betroffene Mitarbeiterin verständlich über alle Maßnahmen informiert werden. Sie hat Anspruch auf Einsicht in relevante Dokumente, um die Schutzmaßnahmen nachvollziehen zu können.
Tipp:
Vereinbaren Sie mit der schwangeren und stillenden Mitarbeiterin einen Besprechungstermin, in dem eine sachkundige Person (Fachkraft für Arbeitssicherheit oder Werksarzt) der Mitarbeiterin das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung erläutert. Die betroffene Mitarbeiterin hat die Möglichkeit, Nachfragen zu stellen. Das Gespräch sollte dokumentiert werden (mit Datum, Uhrzeit, Teilnehmer, Unterrichtungsinhalt, vereinbarte Schritte und Maßnahmen sowie mit der Feststellung, dass keine weiteren Fragen bestehen).