Sie wurden mit sofortiger Wirkung freigestellt? Eine einseitige Freistellung ohne Kündigung zur Verhandlung eines Aufhebungsvertrages ist nicht zulässig. Erfahren Sie, welche Rechte Sie als freigestellte Fach- und Führungskraft haben und was Sie jetzt tun können.
6 Tipps für Fach- und Führungskräfte bei einer Freistellung ohne Kündigung
Die sofortige Freistellung von der Arbeit trifft Sie als Fach- und Führungskraft meist unvorbereitet und ist erst einmal ein Schock. Sie werden zum Personalgespräch gebeten und Ihr Chef teilt Ihnen mit, dass man sich von Ihnen trennen will. In diesen Fällen wird meist ein Aufhebungsvertrag und Abfindung als „faire Lösung“ versprochen. So oder so ähnlich geht es vielen Fach- und Führungskräften, wenn der Arbeitgeber eine Freistellung ohne Kündigung ausspricht, um sich „gütlich“ zu trennen.
Doch die angeblich faire und gütliche Lösung sieht erst einmal so wie in dem Fall der Oberärztin aus, die von der Uniklinik Lübeck ohne Kündigung freigestellt wurde. Als der neue Chefarzt an die Klinik kam, wurden ihr zunächst Kompetenzen und Verantwortung entzogen bis sie dann schließlich ein Schreiben mit einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeit erhielt, um Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag zu führen. Die Oberärztin musste ihren Mitarbeiterausweis, Zugangskarte, Laptop, Datenträger, Visitenkarten und Schlüssel abgeben. Zudem wurde ihr Account im System der Uniklinik gelöscht. Sie hatte keine Möglichkeit mehr, ihr Adressbuch oder ihren E-Mail-Account einzusehen. Aus den Telefonlisten und dem Urlaubsplaner wurde sie gestrichen.
TIPP 1: Bewahren Sie einen kühlen Kopf
Wichtig ist, dass Sie in dieser Situation einen kühlen Kopf bewahren. Fertigen Sie am besten ein Gedächtnisprotokoll von dem Personalgespräch an. Notieren Sie sich, welche Gründe für die Freistellung und für eine mögliche Kündigung Ihr Arbeitgeber vorbringt. Dies hilft Ihnen und Ihrem Anwalt für Arbeitsrecht, die rechtliche Situation einzuschätzen und mögliche Widersprüche aufzuzeigen, wenn der Fall vor Gericht landet. Denn häufig sind die angeblich betriebsbedingten Gründe nur vorgeschoben. Deshalb werden Sie von Ihrem Arbeitgeber zunächst auch „nur“ ohne Kündigung freigestellt.
TIPP 2: Schriftliche Freistellung verlangen
Lassen Sie sich die sofortige Freistellung von Ihrem Arbeitgeber schriftlich geben. Wird die Freistellung ohne Kündigung nur mündlich ausgesprochen, können Sie später kaum beweisen, dass Sie tatsächlich freigestellt waren. Ihr Arbeitgeber gerät mit der Freistellung in Annahmeverzug und muss Ihnen das Gehalt weiter zahlen. Ohne eine schriftliche Freistellung sollten in jedem Fall weiter zur Arbeit gehen und Ihre Arbeitskraft anbieten, um Ihren Vergütungsanspruch nicht zu verlieren und keine Abmahnung oder gar fristlose Kündigung zu riskieren. Nehmen Sie die schriftliche Freistellungserklärung nur entgegen, ohne sich jedoch damit einverstanden zu erklären. Unterschreiben Sie nichts!
TIPP 3: Widersprechen Sie der Freistellung ohne Kündigung
Widersprechen Sie der Freistellung ohne Kündigung schriftlich. Verhandlungen über eine einvernehmliche Trennung können sich über mehrere Monate hinziehen. Kommt eine Einigung nicht zustande und wollen Sie später Ihren Beschäftigungsanspruch gerichtlich durchsetzen, wird Ihr Arbeitgeber einwenden, dass Sie sich mit der Freistellung aufgrund der Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag einverstanden erklärt haben. Der schriftliche Widerspruch kann bares Geld wert sein. Denn bei einer längeren Freistellung können Sie eine Geldentschädigung gerichtlich durchsetzen (Tipp 6).
TIPP 4: Anspruch auf Beschäftigung geltend machen
Aus taktischen Gründen sollten Sie nicht nur der Freistellung ohne Kündigung widersprechen, sondern – am besten mit Hilfe eines spezialisierten Anwalt für Arbeitsrecht – auch Ihren Beschäftigungsanspruch geltend machen. Es ist seit langem anerkannt, dass der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf Beschäftigung hat. Dieser verpflichtet den Arbeitgeber nicht nur dazu, die vereinbarte Vergütung zu zahlen, sondern auch dazu, ihn tatsächlich zu beschäftigen. Das Bundesarbeitsgericht führte aus:
„Der Arbeitnehmer wird in seiner Entfaltung seiner Persönlichkeit gehindert, wenn er im bestehenden Arbeitsverhältnis daran gehindert wird, sich weiter beruflich zu betätigen, sich seine beruflichen Fähigkeiten zu erhalten und fortzubilden. Dies gelte insbesondere bei leitenden Angestellten oder anderen Arbeitnehmern mit besonders bedeutsamen Aufgaben, da gerade bei einer langen Freistellung von der Arbeit der Eindruck hervorgerufen werde, dass die bisherigen Leistungen so minderwertig seien, dass der Arbeitgeber lieber Geld aufwende als die Leistung in Empfang zu nehmen. Deshalb muss der Arbeitnehmer mit seinen Rechten nur dann zurücktreten, wenn überwiegende und schutzwürdigende Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen„.
(BAG, Urteil v. 19.08.1976, 3 AZR 173/75).
Eine einseitige Freistellung gegen den Willen des Arbeitnehmers ist im ungekündigten Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht zulässig. Eine Freistellung ohne Kündigung ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn ganz überwiegende und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers vorliegen. Dies ist etwa der Fall, wenn
- objektive Umstände vorliegen, die den dringenden Tatverdacht für eine strafbare Handlung oder eine schwerwiegende Arbeitsvertragspflichtverletzung ernsthaft begründen oder
- konkrete Tatschen die Besorgnis begründen, dass bei einer Weiterbeschäftigung eine erhebliche Gefahr für den Betrieb oder die dort beschäftigen Personen besteht oder
- es zu einer erheblichen Störung des betrieblichen Ablaufs oder des Betriebsfriedens kommt
(LAG Hamm, Urteil v. 12.12.2001, 10 Sa 174/01; LAG Sachsen, Urteil v. 14.04.2000, 3 Sa 298/00).
Freistellung von Betriebsratsmitgliedern
Dies gilt gerade auch für Betriebsratsmitglieder, deren arbeitsrechtlicher Status durch einen besonderen Entlassungsschutz in erhöhtem Maße gesichert ist und bei denen die Beschäftigung auch den für ihre Betriebstätigkeit notwendigen Kontakt zur Belegschaft sichert.
Auch dann, wenn der Arbeitgeber mit der Einleitung eines Zustimmungsverfahrens beim Betriebsrat ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds geltend macht (§ 103 Abs. 1 BetrVG), ist er nur dann berechtigt, den Arbeitnehmer einseitig von der Arbeitspflicht freizustellen, wenn bei Weiterbeschäftigung erhebliche Gefahren für den Betrieb oder die dort tägigen Personen objektiv bestehen. Hierbei muss es sich um einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehende überwiegende und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers handeln, die eine Verhinderung der Beschäftigung geradezu gebieten; für eine Freistellung reicht es somit nicht aus, dass den vom Arbeitgeber ins Feld geführten Kündigungsgründen „einiges Gewicht“ zukommt (LAG Hamm, Urteil v. 12.12.2001, 10 Sa 174/01; LAG Sachsen, Urteil v. 14.04.2000, 3 Sa 298/00).
Freistellung nach einer Kündigung
Selbst eine Freistellung nach einer Kündigung ist nicht in jedem Fall zulässig. Auch nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber müssen berechtigte, schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers überwiegen.
Mehr zur Thema: Gründe für eine Freistellung nach Kündigung .
TIPP 5: Einstweilige Verfügung bei Gericht beantragen
Kommt Ihr Arbeitgeber der Aufforderung, sie weiter zu beschäftigen nicht nach, können und sollten Sie Ihren Beschäftigungsanspruch mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung oder Klage gerichtlich durchsetzen. Denn mit jedem Tag der Freistellung verfestigt sich bei Kollegen und im betrieblichen Umfeld der Eindruck, der Arbeitnehmer sei aus von ihm zu vertretenen Gründen in Ungnade gefallen, so dass ArbG Berlin (Urteil v. 25.01.2013, 25 Ga 178/13). Das Arbeitsgericht Berlin entschied daher, dass die durch die Freistellung gebrandmarkte Mitarbeiterin unverzüglich zu beschäftigen ist.
Sie sind rechtlich auch nicht dazu verpflichtet, Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag zu führen. Die Richter des LAG Schleswig-Holstein sprachen im Fall der Oberärztin klare Worte:
„Die Freistellung von der Arbeit, um Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag zu erzwingen ist rechtsmissbräuchlich und nicht schutzwürdig.“
(LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 06.02.2020, 3 SaGa 7 öD/19)
Das LAG Schleswig-Holstein gab daher der Oberärztin Recht, die von dem neuen Chefarzt von heute auf morgen ohne Kündigung vom Dienst freigestellt wurde. Die Uniklinik habe die Oberärztin mit der Freistellung von der Arbeit und der damit einhergehenden Trennung vom System und EDV-Zugängen „unsichtbar“ gemacht. Sie war für andere nicht mehr existent. Ein solches Vorgehen ist nicht schutzwürdig, so die Richter.
TIPP 6: Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung
Kommt Ihr Arbeitgeber dem geltend gemachten Beschäftigungsanspruch nicht nach, können Sie zudem eine Geldentschädigung gegen ihren Arbeitgeber geltend machen. Denn die Nichterfüllung des Beschäftigungsanspruchs eines Arbeitnehmers aus einem Arbeitsverhältnis beinhaltet stets eine Persönlichkeitsrechtsverletzung.
„Der Arbeitnehmer hat einen Achtungs- und Wertschätzungsanspruch, der nicht nur auf dem wirtschaftlichen Wert seiner Leistung, sondern vielmehr darauf beruhe, wie er die ihm obliegenden Aufgaben erfülle. Gerade das gebe ihm im Bereich des Arbeitslebens maßgeblich seine Würde als Mensch. Dem Arbeitnehmer könne nicht zugemutet werden, nicht nur vorübergehend, sondern u.U. jahrelang sein Gehalt in Empfang zu nehmen, ohne sich in seinem bisherigen Beruf betätigen zu können. Das würde auf einen Zwang zum Nichtstun hinauslaufen und den betreffenden Arbeitnehmer nicht mehr als vollwertiges Glied der Berufsgemeinschaft und der Gesellschaft überhaupt erscheinen zu lassen. Der Arbeitnehmer wird in seiner Entfaltung seiner Persönlichkeit gehindert, wenn er im bestehenden Arbeitsverhältnis daran gehindert wird, sich weiter beruflich zu betätigen, sich seine beruflichen Fähigkeiten zu erhalten und fortzubilden.“
BAG, Urteil v. 10.11.1955, 2 AZR 591/54; v. 27.02.1985, GS 1/84)
Die Zubilligung der Geldentschädigung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Bei dieser Entschädigung steht – anders als beim Schmerzensgeld – regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen (BAG, Urteil v. 19.02.2015, 8 AZR 1007/13; BGH Urteil v. 05.10.2004, VI ZR 255/03).
Für einen Manager eines internationalen Softwareherstellers, der über 20 Monate ohne Kündigung vom Arbeitgeber freigestellt wurde, um einen Aufhebungsvertrag zu erzwingen, konnten wir seinen Beschäftigungsanspruch und eine Geldentschädigung von 24.000,00 Euro gerichtlich durchsetzen. Das LAG Baden-Württemberg und das LAG Rheinland-Pfalz sprachen einem Arbeitnehmer bei einer über zweijährigen Freistellung ohne Kündigung eine ähnlich hohe Geldentschädigung von 25.000 Euro zu (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 12.06.2006, 4 Sa 68/05; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 05.06.2014, 2 Sa 394/13).
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